"Das Staunen ist ein lebenslanger Zustand"

„Das Staunen ist ein lebenslanger Zustand“
Feature Kleine Zeitung, 21. November 2011

Christopher Hinterhuber spielt mit der Camerata Carinthia Beethoven. Ein Gespräch über Perfektion, Staunen und seine Kadenz.

Sie spielen Beethovens 1. Klavierkonzert. Was macht seine Faszination aus?

CHRISTOPHER HINTERHUBER: Dieses Stück habe ich zum ersten Mal gespielt, als ich zwölf war und seitdem einige Mal an verschiedensten Orten. Es ist einfach interessant, wie man sich mitentwickelt, wie sich die Beziehung auch zu einem Stück entwickelt.

Nimmt Beethoven eine zentrale Stellung in Ihrem Repertoire ein?

HINTERHUBER: Die gesamte Klassik ist zentral in meinem Repertoire. Allerdings spiele ich Beethoven viel öfter als Mozart, zu ihm habe ich mehr Bezug. Mozart ist wunderbare Musik, aber sie ist oft dermaßen perfekt und das macht sie schwierig zu gestalten.

Beethoven ist nicht so perfekt?

HINTERHUBER: Doch, aber Beethoven hat viel mehr gerungen. Ich habe gerade in letzter Zeit auch mehrere Autografe angeschaut und es ist so erstaunlich, was er alles durchgestrichen hat, welches Chaos da auch herrscht.

Sie beschäftigen sich also auch mit der Entstehungsgeschichte eines Werkes?

HINTERHUBER: Ja, heutzutage ist es ja dank des Internets sehr leicht möglich, an die Autografe zu kommen, zum Beispiel ist jetzt vieles via Beethoven-Haus Bonn online abrufbar.

Fließt das dann auch in Ihre Interpretation ein?

HINTERHUBER: Ja, absolut. Ich habe zum Beispiel gerade ein bisschen gelesen über die Zeit von 1815 bis 1820, bevor Beethoven die letzten drei Klaviersonaten geschrieben hat. Da war er in eine unbekannte Frau verliebt, man weiß bis heute nicht, wer das war. Es ist spannend, ein Stück mit diesem Hintergrundwissen zu spielen. Diese Details regen die Fantasie an.

Werden Sie bei Ihren Kärnten-Konzerten eigentlich die Beethoven-Kadenzen spielen?

HINTERHUBER: Nein, eine eigene oder andere, auf jeden Fall etwas Originelles.

Das ist ein bisschen vage.

HINTERHUBER (lacht): Naja, ich habe eine Fuge entworfen und muss schauen, ob die fertig wird. Das wäre dann meine Kadenz.

Das heißt, das wäre dann eine kleine Uraufführung.

HINTERHUBER: Uraufführung ist ein zu großes Wort. Aber so etwas reizt mich schon sehr. Früher hat man das ganz selbstverständlich gemacht, sogar improvisiert, aber die heutigen Pianisten sind da etwas faul.

Auf Ihrer Homepage steht zu lesen, dass Sie für CD-Aufnahmen in Wellington waren. Schon 2005 haben Sie eine CD mit dem New Zealand Symphony Orchestra aufgenommen. Haben Sie eine besondere Beziehung zu Neuseeland?

HINTERHUBER: Ich habe zum ersten Mal 1997 in Neuseeland gespielt – lustigerweise auch Beethovens 1. Klavierkonzert – und dann hat es sich so ergeben, dass wir eine CD-Serie der Ferdinand-Ries-Klavierkonzerte mit dem New Zealand Symphony Orchestra begonnen und jetzt eben auch beendet haben. Das ist ein wirklich großartiges Orchester, vergleichbar etwa mit den Wiener Symphonikern. Die CD wird wohl im Frühjahr 2012 erscheinen.

Haben Sie nicht manchmal eher das Bedürfnis nach Stille?

HINTERHUBER: Ja, sehr richtig, das ist eigentlich das Allerschönste. Denn die Musik, die man selbst spielt, wirkt ja nach und vor und wenn das ständig von außen überlagert wird, ist das eigentlich unerträglich.

Sie sind seit dem Vorjahr Professor an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien. Was versuchen Sie Ihren Studenten mit auf den Weg zu geben?

HINTERHUBER: Dass die Begeisterung für die Musik, die man spielt, essenziell ist. Und auch dass das Staunen darüber ein lebenslanger Zustand ist, der nie aufhören sollte.

Werden Sie eigentlich noch darauf angesprochen, dass im Film „Die Klavierspielerin“ Ihre Finger am Klavier zu sehen sind?

HINTERHUBER: Hin und wieder, aber es ist jetzt doch schon zehn Jahre her. Aber es freut mich, dass Regisseur Michael Haneke jetzt mein Kollege an der Universität ist, er unterrichtet ja dort Regie. Gerade kürzlich gab es eine spontane Idee von einer Zusammenarbeit zwischen Klavier- und Filmstudenten, ich hoffe, das wird bald realisiert.

Welche Projekte scharren noch in den Startlöchern?

HINTERHUBER: Ich habe ja beim Carinthischen Sommer die Variationen von Frederic Rzewski über „The People United“ gespielt, diese nehme ich im Dezember zusammen mit einem Werk von Bach auf, das ist das nächste größere Projekt.

Keine einfache Musik, oder?

HINTERHUBER: Durchaus kompliziert. Aber was ich so großartig finde: Viele zeitgenössische Stücke haben zum Beispiel eine rein intellektuelle Grundlage und es ist schwierig, das dem normalen Publikum zu vermitteln. Dieses Stück, diese 36 Variationen, besinnen sich wieder auf die kommunikative Kraft der Musik und werden dadurch auch vom unvorbereiteten Hörer gut aufgenommen. INTERVIEW: M. FISCHER