Carinthischen Sommer 2011

Ein Mann und sein Klavier

Da gab es nur noch eines: Mitgehen! Christopher Hinterhuber zog beim Carinthischen Sommer mit der Kunst der Variation in den Bann.

Virtuos, uneitel und stilsicher: Christopher Hinterhuber schenkte dem Carinthischen Sommer einen unvergesslichen Abend

Christopher Hinterhuber, renommierter Pianist aus Kärnten, hat sich das „Heimspiel“ überhaupt nicht leicht gemacht. Im Gegenteil. Mit der beinahe in Vergessenheit geratenen Kunst der Variation spielte er den Reiz der subtilen Differenz in allen Nuancen aus. Mit hinreißendem Spiel, das seine Neigung zu romantischer Lyrik nicht verleugnet, steigerte er den Abend in der Stiftskirche Ossiach zu einem Erlebnis. Im ersten Teil des Programmes meisterte Hinterhuber Beethovens fünfzehn Variationen und Fuge in Es-Dur op. 35 sowie Robert Schumanns Fantasie C-Dur op. 17 bravourös.

Beethovens als „Eroica-Variationen“ populär gewordenes Werk, ohne Monumentalität und direkt, mit durchsichtiger Rhythmik. Stets im Vertrauen, auf die Stabilität der Rhetorik und des Klanges, öffnet Hinterhuber weite Räume. Leidenschaftlich gesteigert dann bei Schumann, wo schon der Beginn feinnervig ausgearbeitet war und im Vorüberschweben sich in den folgenden Variationen zu kräftigem Erzählton verdichtete. Gediegene Wechsel der Akkorde und die luzide Führung gegenläufiger Stimmen wie energische Ausbrüche demonstrierten, wie durch Abwandlung des bereits Bekannten das Neue, das Andere entsteht.

Ikone

In besonderer Weise fand das seine Fortsetzung mit einer Ikone der Klaviermusik des 20. Jahrhunderts, dem großen Zyklus von Frederic Rzewski. Der amerikanische Pianist und Komponist hat nach dem Militärputsch in Chile das Kampflied der Opposition „El pueblo unido jamás será vencido“ in 36 Variationen zu einem einstündigen Klavierstück verarbeitet.

Hinterhuber spielte das monumentale Werk auswendig in pausenloser Folge mit allen Finessen. Die zahlreichen Entfaltungsmöglichkeiten seiner bewundernswerten Virtuosität nutzte er uneitel und stilsicher.

Die ganz dem Geiste der Spätromantik verpflichtete Komposition, durchsetzt von einer Vielzahl stilistischer Varianten, wechselt vom volksliedhaft Linearen zum Blues und von klassisch sonatenhaften Elementen zu Passagen, die dem Free Jazz verwandt sind. Hinterhubers Spiel nahm alles an und auf und zog die Zuhörerschaft in seinen Bann. Egal, ob es Cluster oder lyrische Kantilenen waren, dichte Tontrauben oder klassische Harmonien, laute Klappgeräusche und Rufe oder ein melodisches Pfeifen, der Mann am Klavier brachte es so swingend auf die Reihe, dass es nur mehr ein Mitgehen gab. Egal, ob im Marsch mit einem „Vorwärts und nicht vergessen“ aus Hanns Eislers Solidaritätslied oder in zart gestimmten, tänzerischen Bewegungen, die von einer „Bandiera rossa“ herüberwehten.

Das Ergebnis war begeisterter Jubel, standing ovations. Zur Abkühlung und Beruhigung gab es Bachs Goldberg Aria als Zugabe.

(WILLI RAINER, Kleine Zeitung, 20.7.2011)